TEXTE
Bei unseren Abenden der Stille und des Gebets lassen wir uns von Texten aus verschiedenen religiösen, literarischen und philosophischen Traditionen inspirieren – hier eine kleine Auswahl:
„Jenseits von richtig und falsch liegt ein Ort.
Dort treffen wir uns.“
Rumi
Gebet
Gott, zu Dir rufe ich am frühen Morgen/ hilf mir beten und meine Gedanken sammeln;/ ich kann es nicht allein/ in mir ist es finster, aber bei dir ist Licht/ ich bin einsam, aber du verläßt mich nicht/ ich bin kleinmütig, aber bei dir ist Hilfe/ ich bin unruhig, aber bei dir ist Frieden/ in mir ist Bitterkeit, aber bei dir ist Geduld/ ich verstehe deine Wege nicht, aber du weißt den rechten Weg für mich.
(Dietrich Bonhoeffer, aus „Widerstand und Ergebung“)
Texte zum Göttlichen Licht (Abend der Stille und des Gebets im Dezember 2018)
Jüdisches Morgengebet
Gelobt seist du, Ewiger, unser Gott, Gebieter der Welt,
der das Licht gebildet und die Finsternis erschaffen.
Er stiftet Frieden und erschafft alles.
Du erleuchtest die Erde und die auf ihr wohnen mit Barmherzigkeit.
In deiner Güte erneuerst du täglich
beständig das Schöpfungswerk.
Wie zahlreich sind deine Werke, Ewiger,
alle hast du mit Weisheit gemacht,
voll ist die Erde von deinem Besitz.
Gott der Ewigkeit, in deinem großen Erbarmen erbarme dich über uns,
Gott unserer Macht, Fels unserer Zukunft, Schild unserer Hilfe, das uns umgibt,
Gott, gelobt, groß an Erkenntnis,
er hat die Strahlen der Sonne festgelegt und gemacht,
er schuf Ehre seinem Namen,
Lichter stellte er rund um seine Kraft.
Christliches Gebet (Augustinus)
Dein ist das Licht des Tages, Herr,
dein ist das Dunkel der Nacht.
Leben und Tod sind in Deiner Hand.
Dein sind wir und beten dich an.
Du, Herr, hast uns geschaffen, und unser Herz ist unruhig,
bis es Ruhe findet in dir.
Lass uns ruhen in deinem Frieden
und erwachen am Morgen, dich zu rühmen.
Lichtvers aus dem Koran (Sure 24.35)
Gott ist das Licht der Himmel und der Erde.
Das Gleichnis seines Lichts ist wie eine Nische mit einer Lampe darin.
Die Lampe ist in einem Glas. Das Glas ist wie ein glitzerner Stern.
Sie ist angezündet von einem gesegneten Ölbaum, weder vom Osten noch vom Westen,
dessen Öl beinahe leuchten würde, auch wenn kein Feuer es berührte.
Licht über Licht!
Gott führt zu seinem Licht, wen Er auswählt.
Und Gott prägt die Gleichnisse für die Menschen,
und Gott kennt alle Dinge wohl.
Weitere Texte früherer Abende:
„Nirgends, Geliebte, wird Welt sein als innen“
Rainer Maria Rilke
„Was ich wollte, liegt zerschlagen,
Herr, ich lasse ja das Klagen,
Und das Herz ist still,
Nun aber gib auch Kraft, zu tragen,
Was ich nicht will!“
Joseph von Eichendorff
„Achte stets auf deine Gedanken, denn sie werden zu Worten.
Achte auf deine Worte, denn sie werden deine Gefühle.
Achte auf deine Gefühle, denn sie werden zu Taten.
Achte auf deine Taten, denn sie werden zu Gewohnheiten.
Achte auf deine Gewohnheiten, denn sie werden dein Charakter.
Achte auf deinen Charakter, denn er wird dein Schicksal.
Achte auf dein Schicksal, indem du jetzt auf deine Gedanken achtest.“
Talmud
Als Rabbi Schneur Salman, der Raw von Reussen, weil seine Einsicht und sein Weg von einem Anführer der Mithnagdim bei der Regierung verleumdet worden waren, in Petersburg gefangen saß und dem Verhör entgegensah, kam der Oberste der Gendarmerie in seine Zelle. Das mächtige und stille Antlitz des Raw, der ihn zuerst, in sich versunken, nicht bemerkte, ließ den nachdenklichen Mann ahnen, welcher Art sein Gefangener war. Er kam mit ihm ins Gespräch und brachte manche Frage vor, die ihm beim Lesen der Schrift aufgetaucht war. Zuletzt fragte er: „Wie ist es zu verstehen, dass Gott der Allmächtige zu Adam spricht: ‚ Wo bist du?“ „Glaubt ihr daran“, entgegnete der Raw, „dass die Schrift ewig ist und jede Zeit, jedes Geschlecht und jeder Mensch in ihr beschlossen sind?“ „Ich glaube daran“, sagte er. „Nun wohl!“ sprach der Zaddik, „in jeder Zeit ruft Gott jeden Menschen an: ˃ Wo bist du in deiner Welt? So viele Jahre und Tage von den dir zugemessenen sind vergangen, wie weit bist du derweilen in deiner Welt gekommen? ˃ So etwa spricht Gott: ˂Sechsundvierzig Jahre hast du gelebt, wo hältst du?˃“
Als der Oberste die Zahl seiner Lebensjahre nennen hörte, raffte er sich zusammen, legte dem Raw die Hand auf die Schulter und rief: „Bravo!‘“ Aber sein Herz flatterte.
Martin Buber
Mahmoud Darwisch – Denk an den Anderen
Wenn du dein Frühstück bereitest, denk an den Anderen
und vergiss nicht das Futter der Tauben.
Wenn du in deine Kriege ziehst, denk an den Anderen
und vergiss nicht jene, die Frieden fordern.
Wenn du deine Wasserrechnung begleichst, denk an die Anderen,
die ihr Wasser aus den Wolken saugen müssen.
Wenn du zu deinem Hause zurückkehrst, deinem Hause, denk an den Anderen
und vergiss nicht das Volk in den Zelten.
Wenn du schlafen willst und die Sterne zählst, denk an den Anderen,
der hat keinen Raum zum Schlafen.
Wenn du dich mit Wortspielen befreist, denk an den Anderen
und denk an jene, die die Freiheit der Rede verloren.
Wenn du an die Anderen in der Ferne denkst, denke an dich,
und sage: wäre ich doch eine Kerze im Dunkeln.
Anregungen für persönliche Zeiten der Stille und des Gebets in Zeiten des Rückzugs
Diese Zeit kann wie folgt gestaltet werden:
- Bewusstes Einfinden an einem dafür bereiteten Platz.
- Lesen der Texte (siehe unten)
- Spüren und ggf. auch sprechen von dem, was von der aktuellen Situation mich, Menschen, die ich kenne, oder Menschengruppen oder die Menschheit betrifft.
- 25 Minuten schweigendes Meditieren oder Beten in Stille, in der ich mich so präsent wie mir möglich ist Gott oder einer höheren Existenz außerhalb von mir öffne.
- Zum Abschluss vielleicht ein Lied oder ein Gebet aus der eigenen Tradition.
Über Rückmeldungen würden wir uns freuen.
Hier einige Texte zur Anregung:
RÄUME:
Für ein Haus der Stille und des Gebets finden wir Anregungen in bereits realisierten interreligiösen Projekten, aber auch in Räumen, in denen Menschen verschiedener Religionen schon seit Jahrhunderten zum Gebet und zur inneren Einkehr zusammenfinden. Hier einige Beispiele:
Haus der Religionen – Dialog der Kulturen in Bern
Ein Leuchtturmprojekt, das allen religiösen Gemeinschaften von Aleviten bis Sikhs Raum bietet und damit den Dialog der Religionen und Kulturen fördert. Nicht zuletzt trägt ein Café dazu bei, dass es auch informelle Begegnungsmöglichkeiten gibt. Mehr unter
www.haus-der-religionen.ch
Haus der Religionen Hannover
Deutschlands erstes interreligiöses Haus der Religionen, vom Rat der Religionen in Hannover geleitet, ist ein Veranstaltungs- und Begegnungsort mit einem vielfältigen Angebot, der jährlich von mehr als 5000 Menschen besucht wird.
www.haus-der-religionen.de
House of One Berlin
In Berlin soll ab 2019 etwas weltweit Einmaliges entstehen : Ein gemeinsames Haus, das Juden, Christen und Muslime bauen wollen und unter dessen Dach sich eine Synagoge, eine Kirche und eine Moschee Platz finden sollen – für Gebete, Begegnung, Kennenlernen, Austausch und Lehre. Es soll sowohl für Menschen unterschiedlicher Religionen als auch für die sein, die den Religionen fernstehen.
https://house-of-one.org/de
Haus der Maria bei Ephesos
Nach einer alten, nicht unumstrittenen Überlieferung soll sich das Grab Marias auf einem Berg bei der antiken Stadt Ephesos befinden. Ende des 19.Jahrhunderts wurden tatsächlich antike Grundmauern, die Umrandung eines byzantinischen Taufbeckens und eine Quelle gefunden. Inzwischen ist das anschließend errichtete Haus zu einer Pilgerstätte und zu einem Ort friedlicher Begegnung für Christen als auch für Muslime geworden, welche die Mutter Jesu verehren, der eine eigene Sure im Koran gewidmet ist.